Der schrägste Roman Litauens: „Vilnius Poker“ von Ričardas Gavelis
Es gibt noch Bücherschätze zu bergen, vergessene oder übersehene literarische Werke, die jahrzehntelang auf die Wiederentdeckung warten. Eines dieser Bücher ist „Vilnius Poker“ des litauischen Autors Ričardas Gavelis (1950 bis 2002), ursprünglich erschienen 1989, ein fast 700 Seiten starker Roman über die Wanderungen eines Mannes durch Vilnius, der sich nach Jahren der sibirischen Lagerhaft mit seiner Stadt und seinem Land unter der Sowjetherrschaft auseinandersetzt oder, besser gesagt, fast daran zerbricht. Wie der Film „Rashomon“ von Akira Kurosawa erzählt das Buch das zentrale Ereignis - den grausamen Mord an einer jungen Frau - aus verschiedenen Perspektiven und macht den Leser zum Detektiv.
Vor allem aber schafft es Gavelis, das erschütternde Porträt einer versehrten Gesellschaft zu zeichnen, mit Melancholie, Alkoholismus, Brutalität und dem ständigen Gefühl, unter der Knute einer imperialen Macht zu leben. Fast ein Wunder, mag man da denken, dass Litauen mit seiner Unabhängigkeit 1990 so einen mutigen Schritt gehen konnte und sich heute als eine andere Gesellschaft fühlt.
Mein Gast im Bücher-Podcast ist Claudia Sinnig, die sich als Litauen-Kennerin und Übersetzerin litauischer Literatur einen Namen gemacht hat. Nicht nur durch ihre literarische Übertragung, sondern auch durch ihre sorgfältigen Anmerkungen erlaubt „Vilnius Poker“ einen tiefen Blick in eine Welt, die vergangen und doch nicht ganz vergangen ist.
**„Vilnius Poker“ *von Ričardas Gavelis ist erschienen im Verlag S. Fischer, hat 688 Seiten und kostet 32 Euro. Übersetzung aus dem Litauischen: Claudia Sinnig.***
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